ENNIO PORRINO
(Cagliari, 20. Januar 1910 - Rom, 25. September 1959)
Als Schüler von Mulè, Dobici und Respighi ist es Letztgenannter, von dem er sich «sofort das Beste annimmt: die großartige Fähigkeit des Koloristen, die Technik der Orchestration, das Potenzial der Verschmelzung von Gesang und harmonischer Grundlage. All das bewahrt die Unberührtheit jener reinen Lyrik, die dem Sentiment entspringt» (Nicola Valle).
Porrino betritt das Rampenlicht des römischen Musiklebens 1933 mit Tartarin de Tarascon, einer Ouvertüre für Orchester, und, im Jahr 1934, mit der sinfonischen Dichtung Sardegna, die beide von Bernardino Molinari im Auditorium des Augusteums dirigiert werden. Im Laufe der folgenden Jahre wird Sardegna in Italien und im Ausland zur meistgespielten und, wegen zahlreicher Aufführungen unter Leitung der namhaftesten Dirigenten ihrer Zeit – etwa Stokowski, Previtali, Gui, La Rosa Parodi u.a., zur bekanntesten seiner Kompositionen. Neben verschiedenen späteren Werken ist Sardegna eine Hommage an jene Heimat, die Porrino als Kind verlassen musste und die er erst später bewusst kennen lernen sollte. In den sehnsuchtsvollen Erinnerungen der sardischen Mutter aber konnte er sie stets aufblühen sehen.
Nach Vollendung der I Canti della schiavitù für Violine, Violoncello und Klavier (1933), den Canti di stagione für Sopran und kleines Orchester (1934) sowie La visione di Ezechiele, Präludium, Adagio und Choral für Orchester (1935), der Kantate Proserpina für Rezitativ, Frauenchor und kleines Orchester und den Tre canzoni italiane für kleines Orchester (1939) nimmt Porrino im Auftrag des Musikverlages Sonzogno mit Gli Orazi (nach einem Libretto von Claudio Guastalla) zum ersten Mal die Herausforderung einer Opernkomposition an und wagt damit die für ihn höchste und vollendetste Kunstform: das Theater. Gli Orazi wird in der Mailänder Scala im Februar 1941 mit großem Erfolg aufgeführt.
In der Zwischenzeit wird Porrino, der zum Professor der Abteilung für Komposition am römischen Konservatorium berufen worden war, zum ordentlichen Mitglied der Akademie von S. Cecilia in Rom und der Akademie Luigi Cherubini in Florenz.
Von Gli Orazi, einer Oper, die laut Aussage des Autors «ein Bekenntnis der instinktiven Tendenz der italienischen Kultur zu Sonne, Licht und Freude» sein will, wechselt Porrino zu den nostalgischen Tönen und zur schmerzerfüllten Atmosphäre der I Canti dell’Esilio. In dieser Sammlung von 15 Kompositionen für Gesang verarbeitet Porrino seine Kriegseindrücke und «Exil»-Erfahrungen in Venedig, nachdem er 1943 an das dortige Konservatorium Benedetto Marcello versetzt worden war. 1947 kehrt der Komponist nach Rom zurück und nimmt am Konservatorium von S. Cecilia erneut seinen Posten in der Kompositionsabteilung auf.
In der Zwischenzeit erweitert sich seine künstlerische Produktion um neue Werke: 1947 entsteht Sonata drammatica, ein Einakter für Rezitativ und Klavier nach einem Text von Nella Bonora. Es folgt 1949 Il Processo di Cristo, Oratorium für Soli, Chor, Orgel und Orchester auf der Grundlage eines Textes von Abt Ricciotti. Zum ersten Mal wird das Werk im April 1952 im Teatro Argentina in Rom aufgeführt. Es ist ein «großes chor-sinfonisches Fresko, das möglicherweise als das aufwendigste Werk seines bemerkenswerten sinfonischen Schaffens betrachtet werden kann» (Tito Aprea). «In einem äußerst engagierten Werk gelang dem Komponisten erneut die Vermittlung seiner Gedankenwelt, ausgewogen und solide konstruiert» (Renzo Rosselini).
Auf der Suche nach einem unmittelbaren Kontakt zum kulturellen und musikalischen Erbe seiner Insel tritt Porrino als Erwachsener die erste Reise nach Sardinien an. Aus der Dramatik der Landschaft und Menschen mit ihren Überlieferungen archaischer Kulturen und Glaubenswelten bezieht er die Anregungen zu den drei Danze della Terra, dell’Acqua e del Fuoco und vereint sie in der Komposition Nuraghi für Orchester (1952). Etliche bedeutende Aufführungen erlebt dieses Werk u.a. unter der Leitung von Leopold Stokowski und Claudio Abbado. Inspiriert vom Meer und einem felsigen Eiland vor der Küste des Monte Argentario, schreibt Porrino im Auftrag der Akademie von S. Cecilia das Concerto dell’Argentarola für Gitarre und Orchester. Die erste Aufführung findet im Januar 1954 im römischen Teatro Argentina statt. Deutlich zeigt das Werk die Suche nach «einem zeitgemäßen Einsatz des Instrumentes, wobei über eine fundierte Fingertechnik hinaus ebenso die Tambora, das Glissato und Vibrato, die Stoppato- und Rasqueado-Technik, metallische und harmonische Klänge wie auch Steg und Loch als Geräuschquelle genutzt werden und er von üblichen Kadenzen zu Zwölftonreihen übergeht» (Mario Rinaldi). Zum ersten Mal integriert der Komponist diese Mittel in eines seiner Werke, und es gelingt ihm, ohne dass er dabei seinen melodischen Stil aufgibt.
Das Zusammentreffen mit Giovanni Artieri wie auch die Erfahrungen als Reisender und Journalist auf den Philippinen führen ihn erneut ans Theater: der pathetisch näselnde Klang der Panflöte, das Motiv einer alten aragonesischen Jota und eine von politischen Intrigen belastete ländliche Liebesgeschichte bilden das Material zu Porrinos einaktiger Oper L’Organo di Bambù, die 1955 im Rahmen des XVIII. Internationalen Festivals zeitgenössischer Musik in Venedig uraufgeführt wird. Unter den zahlreichen Wiederaufführungen der Oper sei an jene im Teatro dell’Opera in Rom (1956) und im Großen Theater des Lyzeums in Barcelona (1958) erinnert.
Im November 1956 kehrt Porrino nach Sardinien zurück, wo er in Cagliari zum Direktor des Konservatoriums Pierluigi da Palestrina und zum künstlerischen Direktor des Opern- und Konzerthauses ernannt wird. Dieser zwar renommierten, doch mühseligen Aufgabe widmet er voller Enthusiasmus die letzten drei Jahre seines Lebens: Er belebt nicht nur die Aktivitäten am Konservatorium, sondern treibt dessen gesamte Entwicklung voran. So begründet er einen Lehrstuhl für Sardische Ethnomusikologie, eröffnet eine lokale Abteilung der AGIMUS und schafft damit die Grundlagen für bedeutende zukünftige Initiativen, wie beispielsweise die Gründung eines festen Orchesters, die andere nach seinem Tode dann vollenden werden. Seine didaktischen Aufgaben halten ihn jedoch nicht vom kompositorischen Schaffen ab: 1958 beendet er das Konzert für Streicher und Cembalo Sonar per Musici wie auch die Oper in einem Akt Esculapio al Neon. 1959 stellt er nach langwieriger Bearbeitung und nachträglichen Änderungen die endgültige Version der dreiaktigen Oper I Shardana fertig.
Sonar per Musici entsteht nach einer Begegnung Porrinos mit dem berühmten Streicherensemble I Musici, das sein Werk während großer Italien- und Auslandstourneen aufführt. Erneut setzt sich der Komponist nach dem Concerto dell’Argentarola mit der Zwölftontechnik auseinander. Doch «[...] trotz der Rätselhaftigkeit der seriellen Musik, die ihn keine pindarischen Flüge im Reich der Melodie unternehmen lassen, verarbeitet Porrino seine dodekaphonischen Elemente mit jener Kunst und Sanglichkeit, die ihn stets von anderen unterschieden haben» (Nino Bonavolontà).
In Esculapio al neon und durch die Begegnung mit Luciano Folgore, dem Dichter und Librettisten des Werkes, erprobt Porrino zum ersten Mal das Groteske: «leichte, nennen wir sie “unbeschwerte” Musik, die sehr gut zum Thema passt, prägnante Rhythmen und eingängige Refrains, einfachste Deklamationen und Begleitungen» (Mario Rinaldi).
Wiederum ernst und dramatisch ist der Inhalt des dreiaktigen Musikdramas I Shardana – komponiert nach einem Libretto von Porrino selbst, das seine Uraufführung unter der Leitung des Komponisten am 21. März 1959 im Teatro San Carlo von Neapel erlebt. «Abgesehen von vielfachem Szenenbeifall, zählte man nicht weniger als 20 Jubelrufe des Publikums, von denen etliche allein dem Komponisten galten [...]. Die Quelle seiner Inspiration ist zu weiten Teilen im sardischen Gesang zu finden. Dessen bedient sich Porrino ungezwungen und überführt ihn in seine ganz persönliche Art des Ausdrucks» (Nino Fara). «Die Partitur zeugt von einem sicheren und begnadeten Gespür für Instrumentierungs- und Orchestrationstechnik, die an Respighi und zuweilen auch an Strauss erinnert und eindrucksvoll vor allem die Chorpartien umrahmt» (Fernando L. Lunghi).
Am 15. September 1959 hält sich Porrino zur Uraufführung seines letzten Werkes La Bambola malata, einer Pantomime nach dem Text von Luciano Folgore, in Venedig auf, wo das Werk im Rahmen der Giochi e favole per bambini nach einer Idee von Mario Labroca während des XXII. Internationalen Festivals zeitgenössischer Musik aufgeführt wird. Zehn Tage später beendet eine unerwartete und heftige Krankheit das Leben des nur 49-jährigen Komponisten.
Außer den Werken, die bislang besprochen wurden, weist Porrinos Schaffensperiode zahlreiche weitere Kompositionen verschiedenster musikalischer Gattungen auf: Sinfonien, instrumentale und vokale Kammermusiken, Chorwerke und Oratorien, des Weiteren Ballett- und Filmmusiken, wie z.B. die Musik zur bekannten Fernsehverfilmung Canne al vento (1958).
Neben seiner Tätigkeit als Komponist arbeitete Porrino von jungen Jahren an als Musikkritiker, Verleger und Sprecher. Seit den 50er Jahren machte er sich darüber hinaus in Italien und im Ausland als Dirigent einen Namen – zunächst mit eigenen Kompositionen, in der Folge auch mit klassischen sinfonischen Werken anderer Komponisten. Nicht selten widmete er sich dem Verfassen von Gedichten und Erzählungen, die später Texte oder Libretti seiner Musik wurden. Zu seinen Verlegern zählen u.a. Ricordi, Sonzogno, Curci, Suvini Zerboni, Carisch und Universal Edition Wien. Um ein umfassendes Bild der Musik Ennio Porrinos zu erhalten, sollen an dieser Stelle einige Kritiker zitiert werden:
«Porrino trat in einem Moment in Erscheinung, in dem – von einem ausgeprägten nationalistischen Geist befördert – die Haltung des melodieliebenden und traditionsverbundenen Musikers weit reichende Zustimmung erfuhr. Während sich die italienische Kulturwelt der Nachkriegszeit zunehmend Strömungen und Einflüssen öffnete, die sich auf internationaler Ebene manifestierten, blieb der technisch so versierte Porrino nicht untätig, sondern unterzog seine Ausdrucksmittel einer ununterbrochenen Bearbeitung und Entwicklung, wobei er u.a. auch – wie in einigen späten Kompositionen – in Berührung mit der Zwölftonmusik kam» (Nino Fara).
«Seine gesamte Musik zeugt vom Ideal der Klangfülle und dessen fortwährendem Einfluss auf die Verwendung von klanggebenden, harmonischen und kontrapunktischen Verfahren. In jedem Moment jedoch wird dieser Einfluss in den Kanal der eigenen Stilistik eingespeist, in dem sich die Spur einer vielseitigen, vollkommenen und klar definierten Persönlichkeit abzeichnet. Seine gesamte Musik basiert auf geschickt eingesetzter Klangfülle, die ein stets attraktives und kraftvolles musikalisches Werk hervorbringt» (Ramon Bayod y Serrat).
«Die Beziehung zwischen Porrino und Sardinien gestaltet sich nicht in Form einer Wiederbearbeitung der Inselfolklore von außen, sondern als ein Wiedererleben des musikalischen Erbes aus dem Inneren einer natürlichen Persönlichkeit heraus, durch den Filter einer erfrischend spontanen Sensibilität, der Urheberin reiner und unverfälschter Melodien» (Giovanni Campus).
«Porrino kann sich in das Dreieck Bartók - De Falla - Strawinsky einordnen. In der Tat – obgleich er eine eigene und persönliche Sprache spricht, zeigt der Komponist in seiner Geisteshaltung zweifelsfrei Züge der Affinität zu besagten Meistern. Zutiefst schätzt er, wie sie, die volksmusikalischen Wurzeln. Darüber hinaus verbindet sie eine gemeinsame Technik, mit der die traditionellen Quellen der modernen Musik zugänglich gemacht werden [...]. Porrino hat die Stimme der sardischen Seele aus der kleinen Welt der bäuerlich-pastoralen Tradition in die große Welt der internationalen Musik getragen [...]. Ich könnte nicht sagen, ob oder bis zu welchem Punkt er auf De Falla und auf Bartók als seine Lehrer blickte. Es steht fest, dass Porrino für Sardinien das bedeutet, was die beiden anderen Komponisten für Spanien und für Ungarn darstellen. Meiner Meinung nach bildet sein Werk – herausragend wie kein anderes im Bereich der heutigen musikalischen Produktion Italiens – eine ideale Brücke zwischen der volkstümlichen Musik aus seiner Heimat und den Tendenzen und Bedürfnissen moderner Musikkunst, zwischen einer glorreichen Vergangenheit und der Gegenwart. Und es ist wohl wahr, dass seit Puccini kein Musiker die italienische Musik mehr bereichert hat als Porrino» (Felix Karlinger).
Stefania Bèrbera Porrino
(Aus dem Italienischen von Helge-Nadja Ansorg)